Die Visiona-Ausstellungen Ende der 1960er bis Anfang der 1970er gelten noch immer als Meilensteine der Raumschöpfung und radikale Zukunftsvisionen des Designs im 20. Jahrhundert.
Unter dem Titel „Visiona 2 - Revisiting the Future“ präsentiert das Vitra Design Museum in Weil am Rhein vom 7. Februar bis zum 1. Juni 2014 die radikalen Zukunftsvisionen von Verner Panton aus dem Jahr 1970.
1968 mietete der Chemiekonzern Bayer AG erstmals anlässlich der Kölner Möbelmesse ein Ausflugsschiff, um gleich neben dem Messegelände mit einer Heimtextil-Ausstellung für die technischen Möglichkeiten und praktischen Anwendungen der neuen Bayer-Kunstfasern zu werben. Um auch ästhetischen und künstlerischen Ansprüchen gerecht zu werden und eine größere Nähe zum Endverbraucher herzustellen, engagierte Bayer namhafte zeitgenössische Designer für die Gestaltung des Schiffes.
Visiona 0 bis 5: Die Ausstellungen
Visona 0: Verner Panton
Bereits nach der ersten Ausstellung (Visiona 0) im Jahre 1968 für die der dänische Architekt und Designer Verner Panton mit dem Ausstellungsarrangement beauftragt wurde, zeigte sich, dass die Ausstellung ein voller Erfolg war. Zwar sprengte Panton das ursprüngliche Ausstellungskonzept, in dem er die Bayer-Produkte in den Hintergrund treten ließ, aber gerade deshalb ging die erste Visiona weit über die Bedeutung einer reinen Werbeveranstaltung hinaus. Verner Panton errichtete eine avantgardistische Raumwelt und brach mit vorherrschenden traditionellen Wohnformen. In die Räume integrierte er seine wegweisenden Entwürfe wie beispielsweise die Leuchten Fun, Flowerpot, Topan oder VP-Globe und den legendären Panton Chair. Während zur damaligen Zeit noch erhebliche Überzeugungsarbeit geleistet werden musste, um dem Endverbraucher Kunststoffmöbel schmackhaft zu machen, ist vor allem der Kunststoff-Freischwinger von Verner Panton heute längst eine Design-Ikone, die millionenfach verkauft, in den renommiertesten Museen weltweit zu finden ist.
Visona 1: Joe Colombo
Aufgrund des enormen Erfolgs der ersten Visiona-Ausstellung folgte ein Jahr später die nächste Veranstaltung. Für die Ausgestaltung der Visiona 1 im Jahre 1969 konnte Joe Colombo gewonnen werden, der mit seinen Entwürfen von komplexen, multifunktionalen Wohnmodulen für Furore sorgte. In die Decke eingelassene Fernseher, schwenkbare Wände mit eingebauter Minibar – der italienische Designer Joe Colombo präsentierte auf der Visiona Entwürfe, die auch aus einem James-Bond-Film seiner Zeit hätten stammen können. Die von Joe Colombo auf der Visiona 1 gezeigte Wohnlandschaft bestand aus futuristischen „Space Age“-Elementen, die ihrer Zeit weit voraus waren und die in der 1971 von Colombo präsentierten Wohnmaschine „Total Furnishing Unit“ wieder aufgegriffen wurden und miteinander verschmolzen.
Visona 2: Verner Panton
Die dritte und vermutlich bekannteste Ausstellung war die Visiona 2 im Jahr 1970. Erneut erhielt Verner Panton den Auftrag zur Gestaltung des Rheinschiffes „Loreley“. Seine Installation „Fantasy Landscape“ bot ein kreatives Feuerwerk aus leuchtenden Farben und organischen Formen, deren Fotos noch heute das Bild der gesamten Visiona-Ausstellungsserie prägen. Weniger an das Weltraum-Design eines Joe Colombos anknüpfend, als vielmehr an das Innere eines Menschen erinnernd, schuf Verner Panton eine Wohnhöhle, die mit allen traditionellen Architekturvorstellungen brach und als Höhepunkt der kreativen Vision Pantons bezeichnet werden kann. Böden, Wände, Decken und Vorsprünge schienen aus einem einzigen Guss geformt und in satte Blau- und Rottöne getaucht worden zu sein. Das Lichtkonzept wurde integrativ durch die Untermalung der einzelnen Räume mit verschiedenen Klängen und Düften unterstützt. Somit wurde diese psychedelische Raumschöpfung designgeschichtlich zu einer der bedeutendsten Installationen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die zur damaligen Zeit auch die Medienvertreter in einen regelrechten Hype versetzte. Eine Vielzahl von Möbeln, Leuchten, Wandverkleidungen und Textilien, die von Panton für seine „Wohnhöhle“ entworfen wurden, sind später in abgewandelter Form in Serienproduktion gegangen. Zum Teil werden diese Designs noch heute produziert, wie beispielsweise die Amöbe, der Living Tower oder die Leuchte Spiral.
Visona 3: Olivier Mourgue
Die Visiona 2 mit Pantons visionärer Raumschöpfung konnte nur schwer überboten werden, weshalb die Visiona 3 im Jahr 1971 unter der gestalterischen Leitung von Olivier Mourgue nicht mehr an den medialen Erfolg der vorherigen Veranstaltungen anknüpfen konnte, aber architektonisch dennoch einiges an Potenzial bot. Der Franzose Olivier Mourgue wurde vor allem durch futuristische Möbelentwürfe bekannt, beispielsweise dem „Djinn Chair“ für Airborne International – der als Sessel und zentrales Möbelstück in Stanley Kubricks Film „2001: A Space Odyssey“ eingesetzt wurde. Mourgue präsentierte auf der Visiona 3 eine der Natur nachempfundene Wohnlandschaft mit Bächen und Teppichen, die Erd- und Grasstrukturen nachempfunden waren. Er arbeitete auf zwei Ebenen und ließ funktionale Wohnraumelemente wie elektronische Geräte in der unteren Ebene verschwinden, während organisch anmutende Liege- und Sitzflächen auf der oberen Ebene stets präsent zum Entspannen einluden. Seine Vision war im Kern das Miteinander von Mensch und Natur in absoluter Harmonie.
Die Visiona in Frankfurt
1974 fand mit der Visiona 4 die Ausstellung erstmalig in Frankfurt anlässlich der Fachmesse für Heim- und Haustextilien statt. Hier kam die Visiona letztlich auch buchstäblich auf den Boden der Tatsachen zurück. Nicht mehr wie Ende der 1960er im typischen „Space Age“-Look, sondern vielmehr auf die Gegenwart und das Hier und Jetzt bezogen, präsentierte Bayer unter der gestalterischen Leitung des amerikanischen Stoffdesigners Jack Lenor Larsen zahlreiche Textilien, Bodenbeläge und Materialoberflächen aus den aktuellen Kollektionen. Es folgten die Visiona 5 im Jahr 1980, für die der Architekt Paolo Nestler die Ausstellungsgestaltung übernahm, doch auch hier waren visionäre Möbelentwürfe kaum bis gar nicht mehr zu sehen. Die wenigen ausgestellten Einrichtungsgegenstände traten nahezu verschwindend in den Hintergrund. Somit wurde die Ausstellung letztlich das, was sie von Anfang an sein sollte: eine Werbeveranstaltung für die neusten Entwicklungen aus dem Textilsektor von Bayer. Dennoch bleiben die Visiona-Ausstellungen und vor allem die Visiona 2 designgeschichtlich einzigartig. Sie setzten richtungsweisende Maßstäbe für heutige und zukünftige Wohnwelten und prägen noch heute das Bild des Space-Age behafteten und psychedelischen Interieur-Designs der damaligen Zeit.